Das fiktive Interview mit der Angst habe ich geschrieben, um die Angst besser verstehen zu können.

Du kannst es auch finden im Buch „Angst ist mehr als ein Gefühl„, auf der CD „Wege aus der Angst“ und auf dieser Seite eine kurze Hörprobe.

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Roland: Hallo Angst, Du „trübe Tüte“, darf ich Du zu Dir sagen?

Angst: Gerne!

Roland: Warum bist Du eigentlich der Feind für so viele Menschen?

Angst: Verstehe ich auch nicht. Ich komme ja, um den Menschen zu helfen. Übrigens: Ich bin weiblich. Ich sehe mich als Freundin, nicht als Feindin!

Roland: Warum kommst Du zu uns Menschen?

Angst: Ganz einfach: Alle, zu denen ich gekommen bin, haben mich gerufen. Natürlich nicht bewusst. Ich bin so etwas wie ein Schutzmechanismus. Ich trete auf die Bremse, die manche Menschen nicht mehr finden. Ich zwinge sie anzuhalten, zu überlegen und umzudenken. Ich bin sozusagen ein Blockiersystem mit guten Absichten.

Roland:Du meinst, sie sollen innehalten und sich Gedanken machen über ihr Leben?

Angst: Ja, genau!

Roland: Hm… über was genau sollen sie sich Gedanken machen?

Angst: Nun – die meisten haben ja Beschwerden körperlicher oder seelischer Art. Ich möchte anregen zu überlegen, woher diese Beschwerden kommen, welche Symptome die logischen Folgen von z. B. Lebensgewohnheiten sind.

Roland: Das heißt, meine Lebensgewohnheiten sind schuld an meiner Misere?

Angst: Nein, so auch wieder nicht… Viele Gewohnheiten sind ja sehr nützlich. Stell Dir vor, Du müsstest jeden Tag das Zähneputzen neu erfinden.

Roland: Aber?

Angst: Es gibt Gewohnheiten, die Dich eher belasten. Oder Einstellungen, die Dich belasten. Ich unterscheide zwischen Denk- und Verhaltensgewohnheiten.

Roland: Du meinst die ‚Gedankenrattermaschine‘ da oben im Kopf?

Angst: Dort fängt alles an: Du denkst, Du fühlst, das Verhalten bildet sich aus, Deine Gewohnheiten entwickeln sich, diese formen Deinen Charakter… Was Du am wenigsten überprüfst, sind Deine Gewohnheiten.

Roland: Schön bequem will ich es meistens haben…

Angst: Genau!… Es fehlt eine Überprüfung der Gedankenflexibilität. Eingefahrenes ‚Tunneldenken‘ wird nicht erkannt. Die Kette Gedanken-Gefühle-Verhalten ist nicht bewusst. Und Du gibst Deiner Wahrnehmung keine Chance.

Roland: Der Wahrnehmung eine Chance geben?

Angst: Verfestigte Lebensgewohnheiten nennt ihr Vorurteile. Ihr nehmt wahr, beurteilt und habt dann eine Meinung, eine Einstellung. Macht euch frei, neue Erfahrungen zu sammeln, die zu neuen Denkweisen führen. Wenn ich z. B. in Spanien bestohlen werde, so ist Spanien nicht fürchterlich; ich habe lediglich eine schlechte Erfahrung gemacht. Wenn ich diese zur Grundlage meiner zukünftigen Beurteilung „Spanien“ mache, werde ich nie die netten Menschen, die gute Küche und die sonstigen Schönheiten kennen lernen.

Roland: Ich weiß ehrlich gesagt noch nicht so richtig, worauf Du hinauswillst, aber ich habe eine Idee:

Angst: Nur zu …

Roland: Du willst sagen, mit dem Denken fängt alles an, auch die Angst?

Angst: Ja, mit dem Denken und dem Bewerten hängt auch die Angst zusammen. Der Mensch ist, was er denkt, hat ein großer griechischer Philosoph gesagt.

Roland: Ich habe über Dich gelernt, dass Du von Angst auslösenden Gedanken herbeigerufen wirst und dass so genannte Katastrophengedanken Dich noch ärger wüten lassen!?

Angst: Stimmt! Nur – was euch so super gelingt, ist die bildliche Vorstellung negativer Geschehnisse. Ich wäre sehr zufrieden, wenn euch das auch im Positiven gelingen würde.

Roland: Hm… mir dämmert‘ s: Du bist also nur eine logische Folge einer oft gedachten negativen Gedankenkette?!

Angst: Absolut richtig! Wenn Du Dir jeden Tag immer wieder sagst: „Ich bin zu dick, zu alt, meine Haare werden grau und grauer, mein Geld reicht nicht, den Chef könnte ich auf den Mond schießen, der Sprit wird immer teurer und bis ich in Pension gehe, habe ich nur noch eine Minimalrente“… dann fühlst Du Dich genau wie Du denkst: nämlich Dunkelgrau… Dein Verhalten wird geprägt von Unsicherheit, mangelndem Selbstbewusstsein und Deine Gewohnheiten zeigen sich in Sicherheitstechniken und VermeiDung von Situationen, denen Du Dich nicht gewachsen fühlst.

Roland: OK, ok, ich verstehe. Was kann ich tun?

Angst: Du musst den positiven Gegenspieler einwechseln, wenn Du merkst, dass Du auf dem Negativtrip bist. Du kannst „Stopp“ sagen! „Bis hierhin und nicht weiter!“

Roland: Wer sind denn die positiven Gegenspieler?

Angst: Lachen, Freude empfinden, sich seiner sicher sein, Zufriedenheit, Vertrauen, Geborgenheit im Fluss des Lebens, nicht zu viel erwarten, genießen, leben… insgesamt die Messlatte für sich selbst ein wenig tiefer hängen.

Roland: OK, OK, ich verstehe. Das hört sich gut an. Aber wie gehst Du eigentlich damit um, dass Dich keiner mag?

Angst: Gut beobachtet! Die Antwort ist: Das ist mir nicht wichtig! Als geistige Energiequelle werte ich nicht. Ich habe nur eine Aufgabe: Diejenigen, die das wissen, profitieren sogar von mir! Ich konnte ihre Lebensqualität wieder herstellen bzw. verbessern.

Roland: Ich gehöre auch dazu…

Angst: Schön!

Roland: Aber!

Angst: Aber? Ja?

Roland: Du quälst die, die Dir nicht zuhören mitunter ganz schön?

Angst: Das muss so sein… Stell Dir vor, jemand hört Dich nicht, obwohl Du Dich bemerkbar machst; dann musst Du lauter reden.

Roland: Das heißt, Du wirst umso „gemeiner“, je weniger die Leute auf Dich hören?

Angst: Ja, ich will eine Bestandsaufnahme ihres Lebens. Ich bin der Prüfstein, ob sie so weiterleben möchten oder ihrem Denken und Tun eine andere Richtung geben möchten. Nicht falsch verstehen: Es geht ums Leben! Die Betonung liegt auf „so“.

Roland: Ja aber: Warum bist Du so hartnäckig und zäh, wenn Dich die „Angsthasen“ besiegen oder vertreiben wollen bzw. Dich so schnell wie möglich wieder loswerden wollen?

Angst: Gegenfrage: Kannst Du ein Gespenst vertreiben mit Furcht oder ein Feuer löschen mit einem Blasebalg? Du musst dem Gespenst die Stirn bieten und dem Feuer den Sauerstoff entziehen. Wenn Du mir so begegnest, dann habe ich keine Chance, bei Dir zu bleiben. Doch das freut mich eher, ich habe dann nämlich keine Daseinsberechtigung mehr. Verstehst Du?

Roland: Hm… ja… obwohl…

Angst: Ja?

Roland: Warum habe ich dann auf meinem Weg so viele Rückfälle und Stillstände erleben müssen?

Angst: Das waren Tests, ob ich schon gehen konnte. Ich habe Dich überprüft, ob Du das, was Du sagst und tust verinnerlicht hast oder ob es nur leere Worthülsen sind. Ich prüfe den Härtegrad Deiner Überzeugungen. Ich bin ja stets bei jedem im Hintergrund. Manchmal komme ich auch zu früh. Doch wenn mir dann jemand vertrauensvoll sagt: „Schön, dass Du da bist, aber ich brauche Dich in dieser Situation nicht, ich kriege das selber hin“, dann ziehe ich mich gerne wieder zurück.

Roland: Du willst, dass die Menschen mit Dir reden?

Angst: Aber sicher !

Roland: Und wenn die alten Gewohnheiten wieder die Überhand gewinnen ? Wenn Termine, Druck, Verantwortung, Nicht-Nein-Sagen-können, Stress, Perfektionismus, Ehrgeiz und hohe Erwartungen wieder kommen?

Angst: Ich bin sofort wieder da! Versprochen!

Roland: Du grinst so!

Angst: (lacht, und sagt nichts…)

Roland: Wie wichtig sind denn Ziele?

Angst: Oh, sehr wichtig. Es kommt nur darauf an, wie Du die Zielverwirklichung angehst…

Roland: Hmm…Das versteh‘ ich nicht!?

Angst: Ob ich ein Ziel mit Ehrgeiz und Verbissenheit angehe oder mit Leichtigkeit und Spaß, ist immer ein feiner Unterschied!

Roland: OK, ich entscheide mich dann für Leichtigkeit und Spaß.

Angst: Eine gute Wahl!

Roland: Noch was ?

Angst: Ich wollte noch sagen: Ehrgeiz ist nichts Schlechtes an sich, wenn ich es Durch „Elan“ oder „Tatkraft“, gepaart mit Durchhaltevermögen ersetze. Oft ist es jedoch „Ehrsucht“. Ich suche Ehre! Fast immer fehlt dabei der Spaß. Und selbst wenn sich dabei trotzdem Erfolge einstellen, kann sich derjenige nicht so richtig freuen. Ihr sagt ja auch passend „kranker“ und „gesunder“ Ehrgeiz.

Roland: Mal ganz Direkt gefragt: Was machen eigentlich Medikamente mit Dir?

Angst: Ich habe diese Frage erhofft. Die Antwort ist nicht leicht. Medikamente isolieren mich und ich ziehe mich zurück. Das ist nicht immer schlecht. Denn manchmal, das muss ich selbstkritisch zugeben, übertreibe ich etwas und lähme die Menschen bei ihrer Heilung. Wenn jedoch jemand seine Medikamente nur als Krücke benutzt bzw. absetzt, ohne an sich gearbeitet zu haben, bin ich sofort wieder da und zeige ihm, dass er nachsitzen muss…

Roland: Wäre es nicht besser, ihm zu sagen, was er nachholen müsste?

Angst: Erstens zählt der Prophet nichts im eigenen Land und zweitens sitzen Dinge, die Du Dir selbst erarbeitest, wie ein Maßanzug.

Roland: Aber so eine kleine Hilfestellung wäre doch manchmal besser!?

Angst: Diese von Dir angesprochene Hilfestellung bekommst Du in verschiedenen Formen, z. B. in Gebeten und dem Vertrauen auf die innere Stimme. Aber viele Menschen misstrauen selbst ihrer eigenen Stimme… Schade!

Roland: Was ist eigentlich mit lebenslanger Medikamenteneinnahme?

Angst: Gute Frage! Ich werde wohl künstlich kaltgestellt. Der Preis ist aber sehr hoch: Aktuelle Lebens- oder Lernprobleme werden u. U. in diesem Leben nicht mehr gelöst; aber sie stellen sich im nächsten Leben genauso wieder vor Dich und fordern Dich auf, das Grundproblem endlich zu lösen… wenn in einer vielleicht etwas anderen Form, vielleicht auch nicht im nächsten Leben, sondern schon bald! Wenn Du z. B. dem Chef Mayer davonläufst und beruflich nach X-Hausen wechselst, kann Dir dort der gleiche Chef begegnen, vor dem Du wegläufst! Dort heißt er dann vielleicht Schmitt… Insofern wird ein positiver Lebensentwicklungsprozess verzögert. Die Aussage lautet: „Was nicht zu Enden gelitten, kehrt immer wieder!“

Roland: Also liebe Angst… ich befürchte: einige Deiner Antworten werden unsere Zuhörer nicht verstehen…

Angst: Falsch formuliert: Früher oder später alle!

Roland: Dann bedanke ich mich sehr für dieses Gespräch, das war sehr aufschlussreich…

Angst: Keine Ursache. Du weißt doch: Ich bin immer für Dich da!

Text: Roland Rosinus

Inspiriert von dem Text „Ein Interview mit dem Schmerz“ von Marlies Wank, Selbsthilfegruppe „Die Muthasen“, Bensheim